Progressive Muskelentspannung

Die Geschichte der progressiven Muskelentspannung

Das Entspannungsverfahren wurde in den frühen 1920er Jahren vom amerikanischen Psychologen Edmund Jacobson entwickelt. Er war im Labor tätig und bekam von der sitzenden Tätigkeit Rückenschmerzen. So machte er sich auf die Suche nach einer Selbstbehandlung für sein Rückenleiden und entdeckte, dass sich nach kräftigem Recken und Strecken nicht nur seine Muskulatur entspannte, sondern dass er sich auch geistig entspannt fühlte. Der Psychologe ging deshalb davon aus, dass körperliche Anspannung mit gleichzeitiger seelischer Anspannung einhergeht. Auch die seelische Anspannung schien umgekehrt eine Wirkung auf den körperlichen Spannungszustand zu haben. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte der Psychologe seine Entspannungsübungen und veröffentliche 1929 die Ergebnisse seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeit. In abgewandelter Form wurde sein Konzept später in die humanistisch-psychologischen und die verhaltenstherapeutischen Verfahren integriert.

Die Grundannahmen und Ziele der PMR

Der Psychologe ging davon aus, dass eine Anspannung der Muskulatur immer mit Erregung oder sogar Angst einhergeht. Folglich können Angst, Stress und psychische Anspannung auch durch eine Reduzierung der Muskelspannung verringert werden. Grundlegendes Ziel der Methode war bzw. ist die Schulung der eigenen Köperwahrnehmung. Jacobson wünschte sich, dass die Teilnehmer nach Erlernen des Verfahrens auch einen sogenannten „Muskelsinn“ entwickelt haben. Neben dem Schulen der eigenen Körperwahrnehmung und einer verbesserten Selbstwahrnehmung steht insbesondere die Verminderung der Angst im Fokus. Auch seelische Anspannungszustände sollen durch die PMR reduziert werden. Bei regelmäßigem Ausführen der Übungen sollen sich psychosomatische Anzeichen der Anspannung wie Kopfschmerzen, Zittern, Nervosität oder Herzklopfen verringern.

Die Anwendungsmöglichkeiten der PMR

Die Techniken der progressiven Muskelentspannung werden heute häufig im Rahmen von Verhaltenstherapien eingesetzt. Insbesondere in der Behandlung von Angststörungen oder Borderline-Störungen hat sich das Verfahren bewährt. Aber auch zur adjuvanten Behandlung von Bluthochdruck, Kopfschmerzen, chronischen Rückenbeschwerden sowie bei Schlafstörungen und Stress eignet sich die progressive Muskelrelaxation.
Das Verfahren ist recht einfach zu erlernen. Es gibt viele Kurse, die an Volkshochschulen, in Yogaschulen oder von den gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden. Innerhalb von zehnwöchigen Kursen werden Grundlagen und auch Elemente für Fortgeschrittene vermittelt. Je nach Krankenkasse und Kurs werden die Kosten sogar übernommen.
Es besteht aber auch die Möglichkeit, die PMR selber zu Hause zu erlernen. Zahlreiche Bücher, Entspannungsvideos oder CDs erleichtern den Einstieg und helfen bei der Entspannung. Ob die Sitzung mit Musik untermalt sein sollte, ist dabei Geschmackssache. Einige Lehrer der PMR sagen, dass Musik die Wirkung des Verfahrens verstärkt, andere sagen, dass Musik ablenkend wirkt und so eine Tiefenentspannung verhindert.

Der physische Bereich der progressiven Muskelentspannung

Der physische Bereich der PMR bezieht sich auf das Anspannen und das Loslassen der wichtigsten Muskelgruppen. In einer festgelegten Reihenfolge werden unter Anleitung die Muskelgruppen jeweils für fünf bis sieben Sekunden angespannt. Danach wird die Spannung abrupt losgelassen und in das entspannende Gefühl hineingespürt. Während der Übung sind die Augen immer geschlossen. So gibt es keine Ablenkung und die Übenden können sich ganz auf ihre eigene Wahrnehmung konzentrieren und den Unterschied zwischen der Anspannung und der Entspannung spüren. Insbesondere das Spüren der Relaxation ist von großer Bedeutung, denn hier wird das entspannende Gefühl direkt auf der körperlichen Ebene wahrgenommen. Im Gegensatz zum entspannten Geist ist ein entspannter Körper direkt und unmittelbar wahrnehmbar. Das Entspannen hat deshalb insbesondere im physischen Bereich der PMR immer eine größere Priorität als die Anspannung.
Je motivierter die Teilnehmer anfangs sind, desto größer ist die Gefahr, dass die Anspannung übertrieben wird. Nicht selten sind Krämpfe oder gar Muskelkater am anderen Tag die Folge. In der Praxis hat sich eine Anspannung bis zu 80 % der maximalen leistbaren Arbeit des Muskels bewährt. Eventuell besteht nach dem Entspannen des Muskels noch eine Restanspannung. In dem Fall kann die betroffene Muskelgruppe einfach erneut komplett angespannt werden. Nach der Lösung der Spannung weicht in der Regel dann auch die restliche Anspannung und ein angenehm entspannendes Gefühl breitet sich aus.

Der mentale Bereich der PMR

Im Gegensatz zum körperlichen Bereich geht es beim mentalen Bereich nicht um die tatsächliche Ent- und Anspannung der Muskeln. Vielmehr geht es um das Fühlen der unterschiedlichen Spannungszustände. Fortgeschrittene Teilnehmer brauchen die Übungen nicht mehr zwingend physisch durchzuführen. Das Training kann ähnlich dem Autogenen Training mental erfolgen und basiert dann auf dem inneren Fühlen. Die Teilnehmer stellen sich vor, dass sie fühlbare Muskelverspannungen und Muskelverhärtungen geistig loslassen und lösen, sodass sich die Muskulatur entspannen kann. Mit dieser Mentaltechnik können Geübte innerhalb kürzester Zeit einen tiefen Entspannungszustand erreichen. Vorteil der PMR ist, dass das Verfahren deutlich einfacher erlernbar ist als das Autogene Training und nicht erst monatelang geübt werden muss, bevor erste Erfolge sichtbar und spürbar sind.

 

Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit der PMR

Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit der progressiven Muskelrelaxation belegen. Die größte Metastudie stammt aus dem Jahr 1994. Dabei wurden insgesamt 66 Studien mit zusammen 3000 Patienten genauer betrachtet. Alle Studien untersuchten dabei die PMR als eigenständiges Therapieverfahren und nicht als Therapieverfahren im Rahmen einer Verhaltenstherapie. Dreiviertel der Studien berichteten über eine deutliche Besserung der Symptome. Bei 60 % der Studien wurden Verbesserungen des allgemeinen Wohlbefindens berichtet. Diese Effekte waren auch nach der PMR-Therapie stabil und verschwanden nicht. Insbesondere Angst- und Spannungszustände zeigten unter der PMR eine deutliche Besserung. In einer aktuellen Studie aus dem Jahr 2015 wurde festgestellt, dass Patienten, die nach einer Krebstherapie an einem PMR-Training teilnahmen, eine verbesserte Lebensqualität aufwiesen. Sie hatten weniger Angst, weniger Schmerzen und kaum Depressions-Symptome. Auch die Schlafparameter waren verbessert.
Allerdings ist der Erfolg auch abhängig vom Patienten. So zeigten sich die Erfolge vor allem bei Patienten mit eher leichteren Symptomen und bei Patienten, die schon vor Beginn der Studie eine positive Meinung von dem Entspannungsverfahren hatten.
Aufgrund dieser Ergebnisse und der Tatsache, dass das Verfahren nebenwirkungsarm ist, gilt die Progressive Muskelentspannung als das geeignetste Entspannungsverfahren für die klinische Praxis und für die alleinige und unterstützende Behandlung von Stresserkrankungen, Angststörungen und anderen psychischen und physischen Erkrankungen.